J. Heinemann: Verwandtsein und Herrschen

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Titel
Verwandtsein und Herrschen. Die Königinmutter Catherine de Médicis und ihre Kinder in Briefen, 1560–1589


Autor(en)
Heinemann, Julia
Reihe
Pariser Historische Studien (118)
Erschienen
Heidelberg 2020: Heidelberg University Publishing
Anzahl Seiten
517 S.
von
Annalena Müller, Geschichte, Fribourg

Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um die überarbeitete Fassung der Dissertation, die Julia Heinemann 2017 an der Universität Zürich eingereicht hat. Im Zentrum der Untersuchung steht die briefliche Kommunikation Catherine de Médicis mit ihren Kindern und Schwiegerkindern. «Die Beobachtung der Präsenz der Königsmutter in einer Königsherrschaft, die auf verwandtschaftlichen Konzepten und Praktiken beruhte», ist der Ausgangspunkt der Arbeit. «Er bildet den Anlass, dem systematischen Problem, wie in frühneuzeitlichen Monarchien Verwandtschaft und Herrschaft zusammenhängen, neu nachzugehen» (S. 16 f.). Von der äusserst umfangreichen Forschung zu Catherine de Médicis grenzt sich Heinemanns Monografie durch ihren Fokus auf Catherine «als verwandtschaftliche Figur», ab, als die sie «in der historischen Forschung bislang kaum in Erscheinung getreten» sei (S. 39).

Heinemanns Studie liegt ein umfangreicher Quellenkorpus zugrunde. Von den knapp 6’000 edierten Briefen Catherines sind etwa 10 Prozent an ihre Kinder adressiert. Die Briefe Catherines an ihren Nachwuchs bilden den Schwerpunkt. Es werden aber auch die schriftlichen Antworten ihrer Kinder berücksichtigt, sowie zahlreiche Briefe an Gesandte, Botschafter, etc. Neben Briefen verwendet Heinmann auch andere Quellenarten, unter anderem politische Traktate, Bilder, Reden und Heiratsverträge. Die Entscheidung, primär mit edierten Quellen zu arbeiten, begründet Heinemann damit, grössere angesichts der vielen Fehler nicht.

Quellenbestände berücksichtigen zu können (S. 119 f.). Die Studie als Ganzes ist historiographisch-anthropologisch ausgerichtet und wird von der Autorin an einer Schnittstelle von Verwandtschaftsforschung, Forschungen zu (weiblicher) Herrschaft bzw. Staat und zu Briefen und Schriftlichkeit verortet (S. 21).

Unterteilt ist die Monografie in eine ausführliche Einleitung (70 Seiten) und fünf thematische Kapitel. Das einleitende Kapitel bespricht die relevanten Forschungsfelder (unter anderem Anthropologie, genderhistorische Perspektiven auf Mutterschaft, Dynastieforschung, New Kinship Studies). Dem folgt im ersten Kapitel (S. 73–109) eine Einführung in zentrale Aspekte der französischen Monarchie des 16. Jahrhunderts aus verschiedenen Perspektiven (verfassungsgeschichtlich, höfisch, biografisch). Wie bereits die Einführung zeichnet sich auch das erste Kapitel durch die umfassende Kenntnis der frankophonen, anglophonen und deutschsprachigen Forschungsliteratur und ihrer Traditionen aus.

Das zweite Kapitel widmet sich den Eigenlogiken der Briefe, deren Stellenwert in der Herrschaftspraxis und für die Aushandlung verwandtschaftlicher Beziehungen. Heinemann argumentiert, dass briefliche Korrespondenz Beziehungen am Leben erhielt und sie fördern konnte. Zudem ruft sie in Erinnerung, dass es sich bei den Briefen um keine privaten Instrumente handelte, sondern ihnen innerhalb bestimmter höfischer Personenkreise grosse Sichtbarkeit zukam und sie daher auch in rechtlicher Hinsicht bedeutsam waren (S. 114; 169–174). Das dritte Kapitel (S. 193–266) fragt, ob, wann und inwiefern verwandtschaftliche Beziehungen zwischen Mutter und Kindern in Briefen physiologisch gedacht wurden und was dies über die Art der Beziehungen sowie über die Figur der Königsmutter selbst aussagt (S. 194). Heinemann argumentiert, dass sich die Königsmutter primär über ihre Liebe definierte. Die Liebe zu ihren Kindern konzipierte sie leiblich – der mütterliche Bauch war Ausdruck physischer Nähe zwischen der Königsmutter und ihren Kindern). Interessant ist die Beobachtung, dass illegitime Familienmitglieder der briefeschreibenden Grossmutter zwar emotional durchaus nah sein konnten, aber in Briefen nicht mit verwandtschaftlichen Terminologien angesprochen werden (S. 256). Die rhetorischen Figuren der mütterlichen Liebe waren das Vorrecht des legitimen Nachwuchses.

In den letzten beiden Kapiteln steht zum einen das Nähren und die Weitergabe von Herrschaftswissen durch die Königsmutter im Zentrum (Kapitel 4, S. 267–360) und zum anderen die Verhandlung von Konflikten (Kapitel 5, S. 361–440). Nach der ausführlichen Darstellung der Kindheit am französischen Hof, untersucht Heinemann anhand der Briefe Catherines an drei ihrer leiblichen Kinder, nämlich Charles, Henri und Elisabeth, sowie an ihre Schwiegertochter Maria Stuart, die Praxis der Vermittlung von Herrschaftswissen und deren geschlechterspezifischen Unterschiede. Die Auszüge aus den (vergleichsweise wenigen) Briefen Catherines an den jungen König Charles IX. sind hier besonders aufschlussreich (S. 283–292). Das Abschlusskapitel geht schliesslich der Frage nach, ob und wie durch das Briefeschreiben nicht nur einzelne Beziehungen, sondern auch Gruppen konstituiert wurden und was dies über die Königsherrschaft und die Figur der Königsmutter aussagt.

Verwandtsein und Herrschen zeichnet sich durch die beeindruckende Kenntnis der relevanten Literatur aus unterschiedlichen Forschungsfeldern aus, nämlich der Geschichtswissenschaft, der Anthropologie, der Genderforschung und der Soziologie, sowie durch Heinemanns Fähigkeit, diese fruchtbar zusammenzuführen. Trotzdem gelingt es der Autorin nicht immer, den innovativen Charakter ihrer Erkenntnisse darzulegen. Dies liegt vor allem daran, dass die Forschungstradition zu Catherine de Médicis ungewöhnlich umfangreich ist und viele der grundsätzlichen Beobachtungen, die auch Heinemann festhält, schon in früheren Forschungen auf die ein oder andere Art dargelegt wurden. Alles in allem hat Heinemann aber eine äusserst lesenswerte Studie vorgelegt, die es erlaubt, sich aus neuen theoretisch-informierten Perspektiven der komplexen Akteurin Catherine de Médicis anzunähern. Die einzelnen Kapitel werden sowohl Forschenden als auch Lernenden in den historischen and anthropologischen Feldern grosse Dienste erweisen.

Zitierweise:
Müller, Annalena: Rezension zu: Heinemann, Julia: Verwandtsein und Herrschen. Die Königinmutter Catherine de Médicis und ihre Kinder in Briefen, 1560–1589, Heidelberg 2020. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 72(3), 2022, S. 455-457. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00114>.

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